„männlich/weiblich/divers“ – eine Wortfolge, die uns inzwischen geläufig ist und leicht über die Lippen geht. Seit Dezember 2018 haben wir in Deutschland den divers-Eintrag für intergeschlechtliche Menschen. Wieso gibt es den Geschlechtseintrag und wieso wird er so selten genutzt?
Der Eintrag ist eine Möglichkeit für intergeschlechtliche Menschen oder auch Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung einen passenderen Geschlechtseintrag im Personenstand zu erhalten. Das gilt für Personen, die nach medizinischer Definition weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden.
Auf etwa 100.000 Menschen in Niedersachsen trifft das zu. Die Dunkelziffer ist vermutlich riesengroß, denn die meisten intergeschlechtlichen Personen wurden noch in der Kindheit operiert und einem der Geschlechter – männlich oder weiblich – medizinisch angeglichen. Diese Operationen sind inzwischen verboten, da sie medizinisch nicht notwendig sind und die (Mehrfach-)Operationen die Gesundheit von Neugeborenen gefährden. Dennoch werden die Operationen weiterhin durchgeführt. Auch gibt es die Möglichkeit, den Eintrag noch offen zu lassen und so eine spätere Zuordnung möglich machen.
Unsere Gesellschaft denkt großteils immer noch in zwei Geschlechtern. Man sieht einer Person im Alltag nicht an, was für ein Chromosomensatz vorliegt oder welche Geschlechtsmerkmale vorhanden sind – intergeschlechtliche Menschen identifizieren sich auch häufig mit dem männlichen oder weiblichen Geschlecht. Auch im Biologieunterricht lernen wir nur im größten Ausnahmefall, dass es mehrere biologische Geschlechter geben kann.
Die Geschlechtsidentität einer Person wird von jeder Person selbst definiert. Die heteronormative Lebensweise, nach der die Mehrheitsgesellschaft lebt, sieht folgendes vor: Ich werde bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet, also identifiziere ich mich auch als Mann, verhalte, kleide und gebe mich wie ein Mann und verspüre sexuelle/romantische Anziehung gegenüber Frauen. Das gleiche Prinzip gilt bei der Zuordnung weiblich entsprechend umgekehrt. Auch intergeschlechtliche Menschen wachsen mit dieser Norm auf und diese prägt unsere Sicht in Europa.
Das ganze beeinflusst selbstverständlich unsere gesamten Strukturen: Wo nach dem Geschlecht gefragt wird, gibt es in der Regel nur zwei Möglichkeiten: In Toiletten und Umkleiden, in der Anrede, in der Familienplanung und eben auch in Formularen.
Bei der Geburtsmeldung im Standesamt hingegen stehen Eltern bereits vier Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung: männlich, weiblich, divers und den Eintrag offenzulassen. Diese Möglichkeit steht gesetzlich fest und wurde umgesetzt. Allerdings sieht dies im weiteren Alltag ganz anders aus: Bei der Anmeldung in Kita, Schule oder Studium bieten viele Formulare nur zwei mögliche Geschlechter zum Ankreuzen an.
Was würde sich durch das Angebot von drei oder vier Optionen ändern?
Es gibt Berichte von Eltern, die die Schule ihrer Kinder nach Durchsicht des Anmeldeformulars auswählen. Die Möglichkeit, „Divers“ auswählen zu können, bedeutet: Der Schule ist bewusst, dass es Kinder und Jugendliche jenseits von männlich und weiblich gibt und die Zahl durch das OP-Verbot seit 2019 zunehmen wird.
Das Kind wird in einer Statistik sichtbar und die Sichtbarkeit wiederum führt dazu, dass auch entsprechende Maßnahmen vorgenommen werden, um intergeschlechtlichen Kindern in der Schullaufbahn auch gerecht werden zu können.
Geschlechtsspezifische Angebote sind wichtig und richtig, doch wohin mit dem Kind, welches weder männlich noch weiblich ist? Das Formular ist ein Start, um die noch so unsichtbare Personengruppe sichtbarer zu machen.